Deine Stimme zählt - warum wir uns zu Wort melden sollten!
Wie oft bin ich, gerade als junge Frau, still geblieben bin, obwohl ich etwas zu sagen gehabt hätte? Mittlerweile bin ich als Dozentin und Philosophin darin geübt, vor Personen zu sprechen, Moderationen zu übernehmen und meine Ansichten auch bei Gegenwind zu verteidigen. Dieser Artikel ist für alle, aber insbesondere Frauen, die bisher noch viel zu selten, das Wort ergreifen. Hier sind Gründe dafür, warum deine Stimme zählt 🤗

Was bedeutet es, eine Stimme zu haben?
Wir kennen die Formulierungen 'Stimme haben' und 'Stimme geben' insbesondere aus dem politischen Bereich. Dass wir alle an der Gestaltung unserer Gesetze und unseres Zusammenlebens partizipieren dürfen, also ein politisches Stimmrecht haben, ist selbst in Demokratien keine Selbstverständlichkeit. Um zu merken, wie wertvoll und gleichermaßen fragil dieses Gut ist, genügt ein kurzer Blick in die Geschichte. Während das Frauenwahlrecht in Deutschland und Österreich heuer 107 Jahre alt wird und damit im Vergleich zu einem Menschen ein stattliches Ausnahmealter erreicht hätte, dürfte das bundesweite Frauenwahlrecht in der Schweiz mit knackigen 54 Jahren noch nicht einmal an die Rente denken. Stellen wir uns die Wahlrechte als ältere Ladies in einem Park einer Seniorenresidenz vor: Das deutsche und das österreichische Frauenwahlrecht wurden gerade von ihrer jüngeren Pflegerin aus der Schweiz in die Sonne geschoben, alle drei bringt das Licht zum Blinzeln, aber sie freuen sich auch über den Hauch von Wärme auf der Haut. Für eine deutschsprachige Frau ist die Möglichkeit, politisch im gleichen Maße abstimmen zu dürfen wie Männer, faktisch gerade erst so lange vorhanden, wie diese drei Ladies auf der Erde wandeln. Menschheitsgeschichtlich sind ihre Lebensspannen ein Wimpernschlag. Die Idee zu einer demokratischen Verfassung ist zum Beispiel wesentlich älter. Setzen wir die attische Demokratie als Geburtsstunde an, wäre sie gute 2500 Jahre alt. Das ist kein Wimpernschlag, sondern kommt einer Ära gleich. Doch wenn wir nun den Blick nach rechts und links im geographischen Sinne werfen, merken wir, dass auch Demokratien keine Selbstverständlichkeit sind. Lebensalter bringt zwar Erfahrung mit sich, aber die ist kein Garant für Erfolg. Was es braucht, damit Ideen, wie Demokratie und allgemeines Wahlrecht, konkret und erfolgreich funktionieren, sind Menschen, die ihre Stimme bewusst für sie einsetzen - und das geht leichter, wenn es erstmal grundsätzlich erlaubt ist und man nicht um sein Leben fürchten muss, nur weil man seine Ansichten in Worte kleidet und auf die Bühne der Welt schickt:
„Handelnd und sprechend offenbaren die Menschen jeweils, wer sie sind, zeigen aktiv die personale Einzigartigkeit ihres Wesens, treten gleichsam auf die Bühne der Welt, auf der sie vorher so nicht sichtbar waren, solange nämlich, als ohne ihr eigenes Zutun nur die einmalige Gestalt ihres Körpers und der nicht weniger einmalige Klang der Stimme in Erscheinung traten.“ (Hannah Arendt)
Woran uns die drei Ladies auf der Parkbank erinnern können, ist, dass jede von uns eine politische Stimme hat. Worauf das Zitat von Hannah Arendt aufmerksam macht, ist, wie weitreichend der Bereich politischen Handelns ist. Mit dem Moment an der Wahlurne ist er definitiv nicht abgedeckt, noch lässt er sich lediglich Poltikerinnen und Politikern von Berufswegen zuordnen. Politik umfasst begrifflich die Lenkung eines Staates, die Festlegung und Durchsetzung bestimmter Ziele von Regierungen, Parlamenten, Parteien oder Organisationen. Es ist also immer etwas, das über Einzelinteressen hinausweist. Im Falle der Demokratie haben wir es mit einer Staatsform zu tun, die zur Lenkung auf die Herrschaft des Volkes setzt - aber wie wird aus unterschiedlichen Einzelnen ein lenkendes Volk?
Das ist keine einfache Frage und es gibt auch keine einfach Antwort auf sie. Suchen wir Rat bei Arendt, dann würde sie als Bedingung einer gemeinsamen Welt auf Pluralität verweisen. Das heißt, nur wenn verschiedene Perspektiven ausgetauscht werden, kann etwas Gemeinsames entstehen und das passiert, wenn wir handeln und sprechen. Worte und Taten, das sind für Arendt die entscheidenden Formen, in denen Menschen zeigen können, wer sie sind. So drücken sie ihre Einzigartigkeit aus, werden sichtbar und ermöglichen damit allererst die Bedingung für das Entstehen von etwas Gemeinsamen. Zwar gleichen wir uns grundsätzlich als Menschen, aber dennoch sind wir als Individuen verschieden - darin lässt sich auch ein Grund sehen, warum wir überhaupt politische Wesen sind, die immer wieder darüber verhandeln müssen, wie sie zusammenleben können und wollen. Wollen wir als Volk herrschen, heißt das, dass jede und jeder von uns dazu aufgerufen ist, sich zu zeigen, die Gründe zu zeigen, die uns zu bestimmten Positionen führen, damit im Austausch etwas Gemeinsames entstehen kann. Unsere Stimme ist quasi eine Zutat, ohne die der politische Kochtopf zwar nicht leer bleibt, denn andere werden etwas hineinkippen, aber ohne die etwas herauskommen kann, was uns wahrscheinlich nicht schmecken wird.
Warum die eigene Stimme erheben?
Aus diesem kleinen Gedankenstreifzug lassen sich verschiedene Gründe ableiten, warum wir unsere eigene Stimme erheben sollten - auch und vielleicht gerade da, wo wir noch zögern. Erstens: Weil wir es dürfen! Der Blick in die Historie und in aktuell auf diesem Globus betriebene Politik macht mich feministisch genug, es als meine Verantwortung zu begreifen, für alle Frauen, die es nicht durften und immer noch nicht dürfen, die eigene Stimme doppelt und dreifach zu erheben. Zweitens: Weil sich nur dann eine gemeinsame Welt schaffen lässt! Entziehst du deine Stimme dem Diskurs, wird deine Perspektive gegebenenfalls nicht gesehen. Um ein Gemeinsames entstehen zu lassen, für das und um dessen willen sich Politik betreiben lässt, braucht es den Austausch von Ideen, Gedanken, Gründen, Einstellungen, Gefühlen, Erklärungen schlicht ein Miteinander-Sprechen, in dem sich jede und jeder als Person zeigt. Drittens: Weil wir so mehr über uns selbst erfahren! Wie oft habe ich mich schon selbst darüber gewundert, was ich in einer Diskussion gesagt habe, wie ich eine Frage beantworte oder was mir als erstes in den Sinn kommt, um das Gespräch am Laufen zu halten. Ich denke, dass Gespräche uns allein deswegen schon immer die Möglichkeit geben, etwas über uns zu lernen und uns so auch näher mit dem bekannt werden lassen, wer wir sind. Deine Stimme zählt also, weil sie Teil des politischen Diskurses ist, weil sie zum Enstehen einer gemeinsamen Welt beitragen und dir und anderen zeigen kann, wer du bist!
