Warum kann Philosophieren zur Persönlichkeitsentwicklung beitragen?
Hallo und herzlich willkommen auf meinem Blog! Mein Name ist Dr. Sandra Eleonore Johst, ich bin promovierte Philosophin und Psychologische Beraterin und stelle dir hier vor, warum und was das Philosophieren zur Persönlichkeitsentwicklung beitragen kann.
Was ist Philosophie?
Natürlich lassen sich viele Versuche unternehmen, zu erklären, was Philosophieren bedeutet. Ich verstehe darunter eine systematische Reflexion über Fragen, die uns beschäftigen. Fragen, die unsere Existenz in ganz grundlegender Weise betreffen, aber auf die es keine objektiv richtigen Antworten geben kann. Sie bleiben in der Schwebe - weniger um eine konkrete Antwort geht es um den Umgang mit diesen Fragen: Warum leben wir? Was bedeutet es, ein Mensch zu sein? Immanuel Kant hat treffend versucht, die Philosophie über ihre wesentlichen Fragen zu definieren:
Was kann ich wissen?
Was soll ich tun?
Was darf ich hoffen?
Was ist der Mensch?
An den Fragen siehst du auf jeden Fall, Philosophieren hat mit jedem einzelnen Menschen und seinem Wunsch zu tun, sich selbst und das Leben mit all seinen Facetten verstehen zu wollen. Dazu braucht es zweierlei: 1.) Zeit, sich mit sich selbst und seinen eigenen Gedanken, Motiven und Werten auseinanderzusetzen und 2.) Zeit für einen offenen und ehrlichen Austausch der Gedanken mit Anderen. Denn nur so können wir dazu lernen und bekommen die Gelegenheit, uns gemeinsam dem anzunähern, was wir Weisheit nennen. Das bedeutet Philosophie dem ursprünglichen Wortsinne nach: φιλοσοφία philosophía wörtlich „Liebe zur Weisheit“.
Warum Philosophieren lernen?
Weil Philosophieren als gründliches Hinterfragen von Gegebenheiten eine genuin eigenständige Vernunfttätigkeit ist und dabei rationale Schlüsse mit der eigenen Erfahrung verbindet. Eine einseitige Konzentration auf das Denken als auch auf das Handeln kann uns leicht überfordern und unzufrieden machen. Als Mensch sind wir auf beide Lebensmodi angewiesen, können uns aber auch in ihnen verlieren: Entweder an die Unendlichkeit der Denkmöglichkeiten oder an die Mannigfaltigkeit der Welt. Wer sich zu stark an das Denken bindet, riskiert die Chancen für konkrete Veränderung zu übersehen - wer sich zu stark an die Praxis bindet, riskiert sich durch diese bestimmen zu lassen.
Wollen wir das Philosophieren zur Lebensgestaltung verwenden, nutzen wir stets beide Modi und lassen sie einander korrigieren lassen, um bewusst und konsequent zu leben. Der Philosoph Karl Jaspers hat die Bedeutung des Philosophierens für das eigene Leben ganz treffen wie folgt beschrieben:
„Philosoph zu sein ist kein spezifischer Beruf; der Philosoph ist auch kein gestaltetes Ideal, nach dem der Mensch sich formen könnte, um es zu werden; das Sein des Philosophen ist das Selbstwerdenwollen, das in der Breite des Philosophierens sich Raum, Möglichkeit und Ausdruck schafft." (Karl Jaspers)
Philosoph oder Philosophin zu sein, bedeutet primär weder einen spezifischen Beruf, noch stellt es ein bestimmtes Ideal von Mensch dar. Es ist eine Art zu sein, ein Selbstwerdenwollen, das nicht darauf abzielt, abgeschlossen zu werden, sondern sich zu erweitern, zu vertiefen, bewusst zu werden. Dieses Philosophieren als Selbstwerdenwollen schafft sich Raum, Möglichkeit und Ausdruck im Leben des Menschen.
Warum überhaupt philosophieren?
Darauf finden sich viele Gründe - der für mich überzeugendste: Philosophieren als Verbindung von theoretischer Argumentation und konkreter Situation ermöglicht bewusste Veränderung. Wer nach seinen Gründen handelt und damit die Lebenswelt um sich herum gestaltet, merkt seine Selbstwirksamkeit und das fühlt sich gut an! Zu den wichtigsten Nebeneffekten des Philosophierens zählt für mich die kommunikative Sicherheit, die sich dadurch gewinnen lässt: Zu lernen, mit Kritik umzugehen, wertschätzend und klar zu sprechen - das sind Fähigkeiten, die es überall braucht! Sei es im Privatleben, im Beruf oder im Studium.
Ist es egoistisch, sich Zeit für sich selbst zu nehmen?
Vielleicht erscheint uns der philosophische Aufruf Gnṓthi seautón „Erkenne dich selbst!“, wie er bereits ab Mitte des 5. Jahrhunderts vor Christus als Inschrift am Apollotempel von Delphi stand angesichts dramatischer Entwicklungen auf gesellschaftlicher und globaler Ebene als egoistisch. Ist es zu rechtfertigen, angesichts komplexer Krisen und Kriege den Fokus auf das „Ich denke“ zu legen? Ist es nicht vielleicht sogar naiv, zu denken, das eigene Denken und die eigenen Entscheidungen im Alltag wären von Bedeutung? Ich würde sagen, sich Zeit für das eigene Denken zu nehmen, ist nicht nur zu rechtfertigen, sondern sogar notwendig: Notwendig für unsere Wertschätzung uns selbst gegenüber und auch für die Entwicklung unserer Gesellschaft. Denn was wäre die Alternative zu selbstreflektierten und bewusst handelnden Personen? Menschen, die ausschließlich das machen, was scheinbar von ihnen erwartet wird oder das, was ‚man‘ in solchen Situationen eben tut. Und zu was führt das? Zu einem Zustand, in dem unsere Erfahrungen und Begegnungen auf einer Art Oberfläche verbleiben, es entsteht eine Kulisse. Wir können uns auf sie verlassen, mit dem Verhalten der anderen rechnen. Das gibt uns vielleicht ein Sicherheitsgefühl. Aber dabei bleibt das vorhandene Potential verschlossen für einen tiefgründigen Aufschluss über sich selbst und einen authentischen Austausch mit Anderen. Beides sind Quellen, die unserem Leben Bedeutung schenken. Sich immer mal wieder Zeit für sich selbst zu nehmen, ist also nicht egoistisch, sondern die Basis dafür unserem Tun Bedeutung zu verleihen. Eine Bedeutung, die einen Wert hat, der über den oberflächlichen Glanz hinausgeht, weil wir und andere ihn spüren können.
Wird mit dem Philosophieren irgendwas in unserer Welt wirklich besser?
Ich bin der Ansicht: Ja, und zwar genau dann, wenn wir uns dabei nicht in abstrakten Denkmöglichkeiten verlieren, sondern uns auf unsere konkrete Situation konzentrieren, also das sichere Denken in konsequentes Handeln verwandeln. Denn wirkliche Veränderung beginnt mit uns. Jean-Paul Sartre kann uns mit seiner existentialistischen Philosophie darauf aufmerksam machen:
„So bin ich für mich selbst und für alle verantwortlich, und ich schaffe ein bestimmtes Bild vom Menschen, den ich wähle; mich wählend, wähle ich den Menschen." (Jean-Paul Sartre)
Während abstrakte Zusammenhänge unseren Einfluss auf Mitmenschen und Umwelt marginalisieren und große Probleme nur allzu leicht dazu verleiten, gleich das Handtuch zu werfen, kann das Philosophieren als systematisches Reflektieren unserer konkreten Situation uns auf unsere Möglichkeiten für Veränderungen aufmerksam machen. Je klarer wir erkennen, welche Fähigkeiten und Bedürfnisse wir haben, welche Werte und Ziele uns wichtig sind, desto leichter können wir in unserem Alltag beginnen, dementsprechend zu handeln. Die Ergebnisse bewussten Entscheidens und reflektierten Handelns machen uns auf unsere Gestaltungskraft in der Welt aufmerksam. Unser Leben ist der tatsächlich vorliegende Fall von Menschheit, mit unserem alltäglichen Tun gestalten wir Rolle und Richtung menschlichen Fortschreitens auf diesem Planeten. Das ist Grund und Motivation dafür, diese Entwicklung nicht dem Zufall zu überlassen, sondern damit zu beginnen, die Veränderung zu leben, die wir als erstrebenswert für unsere Welt anerkennen.

